Die Leute komm'n und protestieren,
sie woll'n nich länger konsumieren!
Gestern hatte ich erfahren, dass Demo in Stuttgart ist. Hachja, wollt ich ja schon immer mal miterleben. Thema war mir da ganz egal. Auch wenn es um die Kapitalismuskrise (www.kapitalismuskrise.org) ging. Egal, denn bevor ich das Maul über sowas aufreiße, informiere ich mich ganz genau. Also hieß es, sich daneben setzen, zuhören, chillen und nebenher mitlaufen.
Sie reißen jetzt die Schnauze auf,
Widerstand wird aufgebaut!
Vom Hauptbahnhof ging es zum Palast, die Theodor-Heuss-Straße entlang zum Rotebühlplatz, dann von der Königstraße auf die Eberhardstraße und durch die Münzstraße am Rathaus am Samstagmarkt vorbeigeschlängelt zum Schlossplatz.
Stuttgarter Protestmarsch auf einer größeren Karte anzeigen
Ich setz das ganze Land in Brand,
ich will nicht mehr, es macht mich krank
Auf dem Weg dorthin erwischte ich mich dabei, wie ich die Leute musterte und sie einschätzte ob sie auf die Demo gehen oder nicht. Ich fragte mich, ob man da auch Mädels aufreißen kann und entschied mich dann für Nein, was ich aber nach dem Ankommen sofort wieder revidierte. Obwohl, will ich überhaupt so ein reaktionäres Girl? Ich stellte mir schon die Unterhaltung vor:
"Warum bist du hier?" - "Ich mach meine ganz eigene Gegendemo"
"Warum?" - "Weil ich dagegen bin."
"Gegen die Demo?" - "Nein, gegen Alles... aus Prinzip"
Das Establishment muss weichen,
General Midi, wir warten auf dein Zeichen.
Überraschung als ich aus dem Bahnhof emporstieg: Hier war wirklich mehr los, als ich gedacht hattee, aber niemals die 20000 Leute, von denen hier ständig rumgeschrien wurde. Und ich hatte meine Vuvuzela vergessen, verdammt. Ich musste mich ständig fragen, ob die meisten hier einfach nur aus purem Aktionismus waren, denn obwohl die Plakate schon Hand und Fuß hatten, waren sie doch ziemlich wild zusammengemischt.
Da waren Leute von den Grünen, Verdi, Linke, SPD, IGM, MLPD, Stuttgart21-Gegner, Kommunisten, Sparpaketgegner, Polizisten auf Pferden und und und...
"Wir zahlen nicht für eure Krise" und "Gerecht geht anders" hieß das Motto.
Für mich passte das nicht ganz zusammen. Auch als die Veranstalter meinten, dass der Bildungsstreik zu den "Krisenprotesten" gehörten, fragte ich mich, ob das wirklich im Sinne der Studenten ist, wenn sie den Klassenkampf in ihre Agenda für ihre Uni brennt Aktionen machen. Es war ja dann auch klar, dass das zentrale Thema für die Demo in Stuttgart auch S21 sein wird. Aber kann man gleichzeitig den Staat verurteilen, dass er versucht zu sparen und aber die Bahn privatisiert?? Das ist ein Gegensatz, denn die Bahnprivatisierung spart auch. Aber da waren die weggefallenen Stellen wohl böser. Hm.
Trotzdem waren alle, die mir begegnet sind, ziemlich freundlich. Ich habe Unmengen an Flyer gesammelt, auch welche gegen die WM. Es gab aber auch genug Knalltüten, mit "Fuck the System"-Vermummung und Krach machen.
Wenn sich das Niveau hebt
und es endlich losgeht.
Dann setzte sich der Trott, der vom Palast bis zum Hauptbahnhof reichte, in Bewegung. Da traf man auf gewichtige Forderungen und auf hohle Parolen, auf Sprücheklopfer und auf Menschen, die wirklich was zu sagen hatten. Eine Alternative zum Kapitalismus wurde gesucht, aber bevor man die Wirtschaft ändert muss man die Menschen ändern. Denn nicht das System macht einem zu dem was man ist, sondern man selbst. Die Gesellschaft trägt sicherlich dazu bei, aber man kann Gier, Neid und all das Schlechte nicht einfach abstellen. Nicht nur Wirtschaftssysteme und Länder sind Verursacher der Krise, sondern auch wir. Denn wir leben auch über unseren Verhältnissen!
Hunderte Menschen. Tausende Menschen. Das sind die selben Leute, die einen vor kurzem noch Kinderschänder nannten, wenn man ein T-Shirt der Piratenpartei trug. Jetzt tragen sie Schilder mit Forderungen nach Sozialismus und Bildern von Stalin. Die tragen einen Massenmörder umher, der "Säuberungen" vornahm. Schlimmer wäre nur ein Hitler-Banner. Das sind Antikrisen-Proteste!
Gegensätze, Kontraste, Oxymorone...
Millionärssteuer wird gefordert. Eine Steuer für Menschen die mehr haben. Gleichberechtigung? Diskriminierung?
Da wird die Umwelt angemahnt, aber die Protestaktion allein verursacht so viel Müll, soviel Qualm von den Rauchern und soviel CO2 von den laufenden Autos.
Da wird gegen Armut protestiert, doch der Penner, der am Rand der Demo sitzt, den Kopf gesenkt, die Hand offen, bekommt heute wohl nur 50 Cent von mir. Niemand anderen hat es interessiert. Die rufen nur, den kleinen Mann solle man nicht vergessen.
Der Kapitalismus soll abgeschafft werden, doch die Leute in den Kaufhäusern am Rand der Aktion interessiert das wenig. Wir sind Konsum.
Da wird gegen Globalisierung gewettert, dabei sind alle eure Fahnen "Made in China".
Die Polizei beschützt das Ganze? Oder beobachtet? Aber nur die Revoluzzer, die zum Widerstand aufrufen.
Und all die Probleme auf der Erde
Liegen für uns in weiter Ferne
War es also gut, so ein Schmelztiegel der Demonstrationen? Weiß nicht. Glaube ich nicht. Da will ein Mann gegen das Sparpaket der Regierung wettern, wird aber mit Eiern beschmissen, weil er für Stuttgart21 ist. Autsch. Klasse. Solidarität sieht anders aus. Der Rapper auf der Bühne der gegen S21 reimt muss auch seinen Zettel ablesen. Tighter Flow sieht anders aus...
Alles in allem war es eine interessante Veranstaltung. Wenn ich mich mal kümmere, laufe und brülle ich auch mal mit... Falls es mich interessiert. Dafür hab ich den Flashmob am Nachmittag im Königsbau verpasst. Uh...
Die Homepage www.krisenproteste-stuttgart.de schreit, Spiegel Online berichtete, die Stuttgarter Nachrichten und Zeitung und Journal berichteten, Twitterer berichteten, Heute und Tagesschau (mit Video) berichteten, Blogger kommen sicher noch.
Ein paar Eindrücke, Schilder und Parolen (Rechtschreibfehler hab ich leider keine gefunden):
Krise, Krise, scheiß System - Die Jugend wird jetzt unbequem.
Wir sind wir und wir sind laut,
weil man unsre Bildung klaut.
Solidarität heißt Widerstand.
"Danke Frau Merkel für's verschonen, denn wir tragen schwer an dieser Krise" - ich hab noch nichts gespürt, ehrlich gesagt.
"Stoppt das Lohndumping! Gutes Geld für gute Arbeit" - schließlich wollen wir auch mal ins Metropol gehen können!
"Wir zahlen nicht für Eure Krise" - Eine Krise in Europa ist immer unser aller Krise, sorry! Das nennt man Solidarität!
"An der Schule geworben, in Kundus gestorben" - Am Friedrich-Schiller-Gym in Zeulenroda war nie einer vom Bund...
Mehr (Blogs, Videos, Berichte):
Syndikalismus
Bildergallerie
Reichtum und Verlust
Mein Politikblog
FAU Stuttgart
Thomas Mitsch
1 Kommentar:
Oh mein Gott …
Kommentar veröffentlichen