28. Februar 2010

Es ist Mittwoch. Der erste Tag in diesem Jahr mit gefühltem Frühling. Man möchte rausgehen, die Arme ausstrecken und einfach alles und jeden umarmen, weil man denkt, dass der-, die- oder dasjenige die Sonne nur für einen selbst scheinen lässt.


Ich sitze am Bahnsteig und beobachte die Menschen. Eilige Blicke, die nichts für den Frühling übrig haben. Ich kreuze den Blick einer jungen Frau. Für den Bruchteil einer Sekunde starren wir uns an, dann huscht ihr Blick verlegen woanders hin. Ihre Lippen zucken kurz, so als hätte sie sich kurz überlegt zu lächeln. Es wäre ein süßes Lächeln gewesen.

Ihr Zug fährt ab. Ich winke ihr zu. Sie hat ein süßes Lächeln. Menschen gehen, ein Lächeln bleibt.


Mein Zug kommt. Ich sehe den Leuten dabei zu, wie sie Trauben bilden. Der Schnellste, Tollste, Beste sein. Dabei hat doch jeder seinen Platz reserviert. Alles wirkt beschäftigt. Der Frühling scheint. Menschen aller Welt, Sprachen aller Welt. Keiner spricht Frühling.


Ich sitze auf meinem Platz. Mein Ohr schmerzt. Ein Koffer hat mich getroffen. Das passiert. Auch im Frühling. Nur den Besitzer störts nicht. Das nächste Mal: Vorher ein Blick nach oben.

Der Zug ist voller Business-Menschen. Ich habe das Gefühl der einzige im T-Shirt zu sein. Wer fährt auch sonst nachmittags von Stuttgart nach Frankfurt nach Berlin. Anzugpflicht im ICE, das wäre es. Und Gepäckgurte - für braune Lederkoffer. Schläge afu den Kopf bin ich gewöhnt. Die heißen normalerweise Rückschläge.


Laptop-Tasten klimpern. Die Menschen sind beschäftigt, gestresst, auf sich selbst fokussiert. Meine Gedanken haben freien Lauf. Ich fühle mich fehl am Platz. Es ist Frühling. Aber hier will keiner die Sonne umarmen.



Ticketkontrolle. Die Bahncards "100" fliegen. Abertausende Euros. Das ist nicht mehr meine Welt. Ich will mit Menschen zu tun haben, nicht mit Robotern. Ich will etwas in der Hand halten und nicht virtuell bauen. Ich will etwas zurückgeben und nicht nur umshiften.

Bücher. Flugtickets. Statt Bahntickets. Zeitungen. Sudokus. Handys. Brezeln. IPods. Kein Kinderbauset. Standardausrüstung. Diskussionen entstehen sofort. Windows-Startgeräusch. Wirtschaftsteil. FAZ. Welt.

Und trotzdem stehe ich mit einem Fuß in dieser Welt. Arbeite in einem Job, in dem für etwas Nicht-Materielles mehr Geld fließt, als ich in meinem Leben in der Hand halten könnte. Auf dem Weg zu einem Studium, bei dem ich mich seit Wochen frage, was ich da eigentlich mache.

Will ich das Alles? Es ist egal. Die Sonne scheint und es ist Frühling. Ich versuche die Augen zu schließen. Einaudi lässt die Laptops verklingen. Die Fahrt hat gerade erst begonnen. Genau wie der Frühling.


Ich sehe aus dem Fenster. Landschaften rauschen. Wunderschön. Ich brauche meine Kamera. Fotos werden nie so schön wie Bilder im Kopf. Ich brauche meine Kamera nicht.

Stuttgart rauscht vorbei. Business, Business, Business, Brezeln, Neckar.
Mannheim rauscht vorbei. Sieht aus wie eine Industrie- und Arbeiterstadt.
Ein AKW rauscht vorbei. Bzzzzzzzzzzzzzzz.
Frankfurt rauscht vorbei. Commerzbank-Arena. Commerzbank ohne Arena. Skyline. Main.

Mitfahrerwechsel. Business gegen Business. Neckar gegen Main. Volle Besetzung gegen volle Besetzung. Stress gegen Hektik. Aber jetzt nonstop nach Berlin.

Dunkelheit saugt den Frühling weg. Ich schließe die Augen.

1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Ein kleiner Tipp für Brezeln: wenn Sie mal in Berlin sind dann schauen Sie in die BrezelBar vorbei. Da bekommen Sie sie ganz frisch gebacken!

www.brezelbar.de

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